Nutztierhalter sitzen in der Klemme: Auf der einen Seite sind die Erträge für ihre Produkte minimal, auf der anderen Seite haben Verbraucher steigende Ansprüche an das Tierwohl.
Und trotzdem ist es zu schaffen, wie zwei Autorinnen bei einer Lesung am 25.02. auf dem Hofgut Oberfeld in Darmstadt mit viel Engagement und vor einem sehr interessierten Publikum darstellten.
Ruth Häckh ist Schäferin in vierter Generation und seit 2009 Bioland-Schäferin. In ihrem Buch „Eine für alle – Mein Leben als Schäferin“ beschreibt sie, warum sie Bio(land) Schäferin ist. Es geht ihr um das Gesamte, das Wirtschaften im Einklang mit der Natur. Der Biolandbau erhält die biologische Vielfalt von vielen Pflanzern- und Tierarten, in der Bio-Landwirtschaft werden Tiere artgerecht gehalten, Weidegang und die damit verbundene Förderung der Humusschicht des Bodens sind von zentraler Bedeutung. Es wird auf standortangepasste Rassen, die mit den natürlichen Bedingungen gut zurechtkommen, Wert gelegt.
Für ihre Schafhaltung haben sich durch die Umstellung auf „Bio“ kaum Änderungen ergeben, die klassische Wanderschäferei wirtschaftet von Natur aus ökologisch und klimafreundlich.
Im Kapitel „Kamele in Rajasthan“ berichtet sie über eine Reise zum indischen Camel-Culture-Festival, das von den indischen Raika Kamelhirten veranstaltet wurde. Sie ist fasziniert von deren selbstverständlicher Freundlichkeit und von ihrem zufriedenen, fröhlichen Leben in enger Verbindung zu ihren Tieren und zur Natur. Auf dieser Reise wurde ihr bewusst, dass Hirten in aller Welt die Aufgabe haben, für den Erhalt von Lebensgrundlagen und Lebensräumen einzustehen.
Anja Hradetzky aus Stolzenhagen in Brandenburg ist Autorin des Buches „Wie ich als Cowgirl die Welt bereiste ohne Land und Geld zur Bio-Bäuerin wurde“ und hat es geschafft, zusammen mit ihrem Mann, ohne finanzielle Mittel einen Biobauernhof mit Milch- und Fleischrinderhaltung aufzubauen.
Bei ihrer Lesung erzählte sie von der Methode der stressarmen Arbeit mit Rindern, dem „Low Stress Stockmanship“, die sie bei ihrem Aufenthalt auf kanadischen Farmen gelernt hat. Es geht darum, die Bedürfnisse der Rinder zu kennen und sich ihrem Wesen entsprechend zu verhalten und zu bewegen. Man braucht kein lautes und aggressives Auftreten, um eine Rinderherde zu treiben und um Tiere bei Bedarf von der Herde zu separieren. Man muss den Rindern deutlich machen, dass man kein „Raubtier“ ist, dass sie einem vertrauen können, dann lassen sie sich in die gewünschte Richtung dirigieren. Wichtig bei der Haltung von Rindern und Kühen ist es zudem, dass die Tiere von klein auf an den Menschen gewöhnt sind und artgerecht mit genügend Auslauf und Sozialkontakt zu Artgenossen gehalten werden. Das Hüten der Tiere verlangt vom Menschen viel Verantwortungsbewusstsein, was bei Anjas Schilderung eines gefährlichen Viehtriebs in direkter Nähe zu einem kanadischen Highway sehr deutlich wird.
Anschließend las sie darüber vor, wie sie und ihr Mann mit Hilfe von sogenannten „Genussscheinen“, die Unterstützern, als Gewinn Anteile von den erwirtschafteten Naturalien, in diesem Falle Fleisch und Milchprodukte bietet, einen kleinen Rinderbestand kaufen konnten, der seitdem beständig gewachsen ist. Das Weideland konnten sie in einem Naturschutzgebiet dessen Landschaft durch die Rinder und Kühe nachhaltig gepflegt und offengehalten wird, günstig pachten. Die Rinder werden ganzjährig draußen gehalten. Durch die Wahl von ursprünglichen, robusten Rassen (z.B. Original Allgäuer Braunvieh und Anglerrinder, die zudem Zweinutzungsrassen sind!) kommen die Tiere gut zurecht und liefern gesunde Nahrungsmittel, die über den Hof Stolze Kuh direkt vermarktet werden. Ein weiterer sehr positiv zu erwähnender Ansatz ist die Kuhgebundene Kälberaufzucht.
Das Fazit des Abends war, dass es möglich ist und sich lohnt, für Ideale in der Tierhaltung einzustehen und unkonventionelle Wege zu gehen.
Die Lesung wurde im Rahmen eines aktuellen Misereor-Projekts organisiert, in dem die Liga für Hirtenvölker die positiven Aspekte der nomadischen Tierhaltung weltweit darstellt. Denn nur auf diese Weise ist es möglich die 70% der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die sich nicht für den Ackerbau eignen, ressourcenschonend und tierfreundlich zu bewirtschaften.